Das Fach "Ethik"

Das Fach Ethik beschäftigt sich mit der Reflexion auf Moral und Ethos und dient damit der eigenen Urteilsbildung: „Was kann ich wissen, was soll/darf ich tun, was darf ich hoffen, was ist der Mensch?“ Ethik umfasst auch die Frage, wie ich unter gegebenen Verhältnissen ein Leben in Glück und Frieden führen kann. . Zur Beantwortung dieser Fragen beschäftigt Ethik sich mit den sozialen Normen und kulturellen Werten vorhandener Gesellschaften und Gemeinschaften (Ethos, Moral) ebenso, wie mit den religiösen Sinnvorstellungen der verschiedenen Weltreligionen (Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus). Hinzu kommen die Angebote der philosophischen Ethik seit ihren Anfängen in der griechischen Antike (sog. Vorsokratiker, Sokrates, Platon, Aristoteles etc.), über die Klassiker der Moderne (Utilitarismus, Immanuel Kant) bis hin zur zeitgenössischen modernen politischen Theorie (z.B. John Rawls, Jürgen Habermas).

Auf der Grundlage dieser Auseinandersetzungen werden die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt, sowohl über ihre eigene Stellung in der Gesellschaft als auch über aktuelle öffentliche Streitfragen zu reflektieren und zu methodisch angeleiteten, ethischen Urteilen zu gelangen. Dabei werden auch die Grenzen des vernünftigen Urteilens erfahrbar und in ihren Konsequenzen diskutiert – und die Persönlichkeitsentwicklung gezielt gefördert.

Fachspezifische Ansprechpartner sind Herr Bersch und Herr Dr. Schmidt.

Ethische Urteilsbildung

1. Erfahrungen der Vielfalt und der Konvergenz

Es gibt keine allseits akzeptierte und akzeptierbare Autorität, die eine verbindliche Moral begründen könnte. Stattdessen machen wir Erfahrungen spannungsreicher, widersprüchlicher Vielfalt, allerdings nicht ohne dazugehörige Kontrasterfahrungen.  Wir erfahren die Vielfalt der Kulturen, Gesellschaften und Gemeinschaften: die konfliktgeladene Vielfalt zum Beispiel in Indien oder in der GUS, den Gegensatz zwischen den eurozentrierten und den ursprünglichen Kulturen in Lateinamerika oder Australien, die divergierenden Lebens- und Gesellschaftskonzepte christlicher, republikanischer, liberaler oder pazifistischer Traditionen zum Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika.  Dazu kommt allerdings auch eine Kontrasterfahrung, verstärkt nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staatenwelt: Der marktwirtschaftliche Industrialismus mit seinem Wertepaket von Leistung, Erfolg, Wohlstand und Wachstum bietet sich als Welteinheitskultur an. Dazu kommt die Auseinandersetzung mit der islamischen Welt in ihren vielfältigen Ausprägungen.

Weiter: Wir erfahren die Vielfalt wissenschaftlicher Kulturen. Bekannt ist die Auffassung, dass zwei Kulturen sich unvereinbar gegenüberstehen, die geisteswissenschaftlich-ästhetische Kultur auf der einen und die naturwissenschaftlich-technische Kultur auf der anderen Seite. Hinzu kommt die Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems in Spezialdisziplinen mit ihren eigenen Modell-, Symbol- und Sprachwelten, mit ihren je eigenen Wissenschaftskulturen.

Schließlich: Wir stehen auch vor einer Vielfalt von Grundmodellen ethischer Reflexion, gekennzeichnet durch Namen wie Lebensweltethik, Vernunftethik, Mitleidsethik, Diskurs- und Kommunikationsethik, Utilitarismus (=Nützlichkeitsprinzip) und Interessenethik.  Besonders beachtenswert sind in diesem Zusammenhang die fundamentalen Differenzen, die angesichts des Entwurfs einer europäischen Bioethik-Konvention zutage treten, es sind die Divergenzen zwischen einer moralischen Kultur der Würde des Menschen und der moralischen Kultur seiner Präferenzen und Interessen. Der erfahrbare Kontrast hierzu bezieht sich auf das Vordringen eines popularisierten oder auch populistischen, pragmatischen, kompromissbereiten, nur begrenzt universalistischen Utilitarismus.

Die folgenden konvergierenden Momente angesichts der Erfahrungen auch von ethischer Vielfalt möchte ich besonders hervorheben:

  • Die Menschenrechte, sowohl die individuellen wie die sozialen, finden eine immer breitere Anerkennung.
  • Die gemeinsame Wahrnehmung der Not der Gegenwart, thematisiert als „Risikogesellschaft", macht eine neue Art von Solidargemeinschaft, eine Einigung auf Fundamentalnormen menschenwürdigen Überlebens notwendig.
  • Es verstärkt sich auch die erfahrungsbezogene Erwartung, dass Verständigung in kommunikativen Prozessen möglich ist, in die die eigenen Erfahrungen eingebracht werden. Verständigung meint hier zunächst die Verständigung über und das wechselseitige Verständnis für Differenzen und ihre Gründe; erst dann kann der Versuch der Konsensfindung begonnen werden.

2. Der Prozess der ethischen Urteilsbildung

Angesichts der so beschriebenen moralischen Situation ist ein Nachdenken über Moral nur vorstellbar als ethische Urteilsbildung, die verstanden wird

  • als kommunikativer, nie endgültig abschließbarer und deshalb iterativer Prozess,
  • in dem argumentative wie narrative (=erzählerische) sprachliche Ausdrucksformen ihren Platz haben,
  • der kognitive und emotionale Momente integriert und
  • auch in der Bezugnahme auf Traditionen und Erfahrungen prospektiv und kreativ ist.

Eine solche ethische Urteilsbildung ist immer schon von Inhalten bestimmt, weil die Moral der Ethik vorausgeht, also jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer die eigenen moralischen Intuitionen in den Prozeß einbringen, aber auch deshalb, weil die kommunikative ethische Urteilsbildung selbst ein Ethos impliziert oder nur im Vorgriff auf ein Ethos der interessierten und aktiven Toleranz zu verwirklichen ist. Ich denke dabei an das, was Karl R. Popper in den Grundsatz faßt: „Ich kann mich irren. Du kannst recht haben.  Zusammen können wir der Wahrheit auf die Spur kommen.“

Ethische Urteilsbildungsprozesse sind dabei nicht voraussetzungslos:

a) Zu unterscheiden ist zwischen Ethik und Moral. Unter Moral versteht man die in Gesellschaften anerkannten oder auch gelebten sittlichen Haltungen, Prinzipien und Normen. Mit Ethik wird der nachdenkliche, sowohl prüfende als auch begründende Umgang mit den Inhalten von Moral bezeichnt. Die Ethik setzt also voraus, daß eine Moral schon vorhanden ist. Dies hat seine Bedeutung für viele gesellschaftliche Konfliktfelder. Die in ihm Handelnden haben jeweils eigene Vorstellungen von Moral und Verantwortung. Niemand sollte deshalb Amoral unterstellt werden, der Streit geht vielmehr um Art und Inhalt der Moral.

b) Als Disziplin der Philosophie ist die Ethik in einer Zeit des Umbruchs entstanden, als das Moralische sich nicht mehr von selbst verstand, sondern fragwürdig wurde. Dies geschah im fünften und vierten vorchristlichen Jahrhundert im alten Griechenland. Aristoteles (384-322 v.Chr.) hielt die ersten Vorlesungen über philosophische Ethik, in denen er sich übrigens deutlich von seinem Vorgänger und Lehrer Platon (427-347 v.Chr.) abgrenzte. Die Ethik ist demnach kein zeitloses, sondern ein historisches Phänomen innerhalb des europäischen Kulturraumes. Sie ist auch nie einheitlich gewesen, sondern lebte oder litt unter der Spannung zwischen ihren unterschiedlichen Entwürfen.

c) Die Ethik hat eine doppelte Aufgabe, eine beschreibende und eine normative. Die beschreibende Aufgabe besteht darin, sich die Inhalte der geltenden und gelebten Moralen bewußt zu machen. Dabei ist sie auf die Zuarbeit seitens der Sozialwissenschaften und der Psychologie angewiesen. Zur beschreibenden Aufgabe gehört auch, die ethischen Entwürfe aus Geschichte und Gegenwart darzustellen und in Beziehung zueinander zu setzen. Die normative Aufgabe verlangt, die überkommenen moralischen Gebote und Prinzipien zu überprüfen, herauszuarbeiten, welche moralischen Traditionen in besonderer Weise den Erfordernissen der Zeit entsprechen bzw. wie sie weiterzuentwickeln sind.

d) Es gibt heute keine einzelne Instanz - weder eine Institution wie Kirche, Partei oder Staat, noch eine hervorragende Person oder Personengruppe wie z.B. die Philosophen oder Intellektuellen -, die eine bestimmte Moral und eine bestimmte Ethik verbindlich machen könnte. Angesichts von Situationen, in denen sittlich verantwortbar gehandelt werden muß - und zwar von einzelnen, Gruppen, Gesellschaften, Institutionen, Staaten und überstaatlichen Organisationen -, kann intersubjektive Verbindlichkeit über ethische Grundsätze nur in argumentativen Verständigungsprozessen erreicht werden. Deshalb sind wir auf gemeinsame Urteilsbildungsprozesse angewiesen. Dies gilt besonders dort, wo wir es mit äußerst komplexen ethischen Urteilen - wie z.B. im Fall der Gentechnik oder etwa der Energietechnik - zu tun haben. Solche Urteile haben eine Wertseite und eine Sachseite. Heißt die Wertseite z.B. Erhaltung und bestimmt der Ethiker sie als die Bewahrung der biologischen und personalen Integrität (Unversehrtheit) des Menschen, so sind auf der Sachseite Auskünfte darüber erforderlich, was die biologische Integrität naturwissenschaftlich ausmacht und worin, psychologisch und soziologisch gesehen, die personale Integrität besteht. Ethische Urteilsbildung kommt heute ohne die Beratung und Verständigung der Beteiligten und Betroffenen, die ihre unterschiedlichen Kompetenzen, Positionen und Meinungen einbringen, nicht aus. Dies setzt bei den Teilnehmern die Bereitschaft voraus, sich durch Gründe - auch von der Revisionsbedürftigkeit des bisher als sicher Angenommenen - überzeugen zu lassen.

e) Von der Ethik darf also nicht erwarten werden, was unmöglich ist: bündige ethische Normen für den Umgang mit ethischen Problemen. Es können nur Hinweise sein, welche Zielwerte, Kriterien und Regeln in einem ethischen Urrteilsbildungsprozeß beachtet werden sollten, der selbst aber Sache vieler ist. Der Sozialethiker kann Gesichtspunkte zusammentragen, die zur näheren Bestimmung der Begriffe „Natur“ und „Leben“, „naturgemäß“, „lebens-“, „menschen“ und „gemeinwohlgerecht“ hilfreich sind. Er wird dabei die Sachseite im Auge behalten, über die er allerdings nur begrenzte Kenntnisse hat. Sein Beitrag kann nur eine Anregung für den gemeinsamen ethischen Urteilsbildungsprozeß sein.

Beim Prozeß ethischer Urteilsbildung lassen sich fünf Elemente oder Dimensionen unterscheiden:

  1. die Thematisierung der Situation (Wirklichkeit wahrnehmen),
  2. die Kenntnisnahme von elementaren Lebensbedingungen,
  3. die Auseinandersetzung mit ethischen Traditionen,
  4. die - immer nur vorläufige - Urteilsfindung,
  5. die Folgerungen für die persönliche und die gemeinsame Lebenspraxis.

Diese Elemente sind eng aufeinanderbezogen, gehen zum Teil ineinander über und gewinnen je nach dem anstehenden und zu lösenden Problem ein unterschiedliches Gewicht. Sie sind nicht als einzelne Schritte anzusehen, die nacheinander und in dieser Reihenfolge zu vollziehen wären

 

3. Eine notwendige Voraussetzung zur Thematisierung der Situation: Wirklichkeit wahrnehmen

Daß unsere Wirklichkeitswahrnehmung in vieler Hinsicht eingeschränkt ist, dürfte hinreichend bekannt sein.  Dazu gehört der berühmte blinde Fleck, dazu gehören die Vorurteile und die Interessenstandpunkte. Zu nennen sind auch Wahrnehmungs- und Beobachtungsgewohnheiten wie die Konzentration auf den lebensweltlichen Nahhorizont, die Gegenwart und die nähere Zukunft. Hinzu kommt die Tatsache, daß der Zugang zu vielen Wirklichkeitsbereichen nicht durch die unmittelbare Erfahrung erfolgt, sondern durch Kulturtechniken - vom Mikroskop über das Fernsehen bis zu den Datenbanken und den Bildschirmsimulationen - vermittelt wird.  Eine Aufgabe des Ethikunterrichts, verstanden als Prozeß ethischer Urteilsbildung, ist es deshalb, die Befähigung zur Wahrnehmung der Wirklichkeit zu fördern. Darin können die anderen Fächer den Ethikunterricht unterstützen, wie umgekehrt dieser zu einer geschärften Aufmerksamkeit über seine Grenzen hinaus beitragen kann.

Bei der Verwirklichung dieser Aufgabe kann der Ethikunterricht sich nicht auf jene Bedingungen einlassen, die Aristoteles sich für seine Ethik-Vorlesungen wünschte. Er war der Ansicht, daß Jünglinge keine geeigneten Hörer seien, weil ihnen die Erfahrung im praktischen Leben fehle. Dasselbe gelte für diejenigen, gleich ob alt oder jung, die den Leidenschaften nachgehen, für sie bleibe das Wissen nutzlos. Der Ethikunterricht versucht, den Prozeß ethischer Urteilsbildung aus der Situation beträchtlichen, aber keinesfalls totalen Unerfahrenseins in Gang zu bringen; das bedeutet, er sollte neue Erfahrungsmöglichkeiten eröffnen.  Er wird auch mit den Affekten und Leidenschaften, zum Beispiel mit einem unreflektierten Egoismus, einer latenten oder offenen Aggressivität oder auch mit der Umkehrung von Leidenschaftlichkeit in resignatives Desinteresse, umgehen müssen. Dazu bieten sich die folgenden Wege an:

  • die Beschäftigung mit Konflikten in der eigenen Gruppe,
  • die Vermittlung von Erfahrungen im Umgang mit den Fremden und Anderen, zum Beispiel mit Behinderten,
  • die Vermittlung von Erfahrungen im Umgang mit der Natur,
  • die Vermittlung von Einsichten über das mit den bloßen Sinnen allein nicht mehr Erfahrbare.

4. Kenntnisnahme elementarer Lebensbedingungen

Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben das Überleben der Menschheit in den Mittelpunkt der ethischen Reflexion gerückt.  Die Frage nach den notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Erhaltung und Entfaltung, für das Überleben in Freiheit und Würde wird gestellt.  Grenzen und Rahmenbedingungen menschlichen Handelns treten stärker ins Bewußtsein.  Diese elementaren Rahmenbedingungen sind vielfältiger Art.

Der Mensch ist zwar »von Natur aus ein Kulturwesen« (Arnold Gehlen), aber seinen kulturellen Eingriffen in die Umwelt sind auf jeden Fall dort Grenzen gesetzt, wo sie ihn selbst in seiner physischen Existenz bedrohen.  Die Sicherung der ökologischen Rahmenbedingungen gehört zweifellos auch zu den Pflichten der Einzelnen, ist aber vor allem ein von den gesellschaftlichen Institutionen einklagbares Schutzrecht.  Um das Ausmaß der ökologischen Aufgabe abschätzen und richtige Handlungsvorschläge unterbreiten zu können, sind wissenschaftlich ermittelte Informationen nötig.  Hans Jonas fordert in diesem Zusammenhang eine »Tatsachenwissenschaft von den Fernwirkungen technischer Aktion«

Ein weiterer Bereich elementarer Lebensbedingungen - eng verbunden mit dem vorher Besprochenen wird mit dem Begriff der Grundbedürfnisse gekennzeichnet. Jeder Mensch braucht zur Erhaltung seiner physischen Existenz ein Minimum an Nahrung, Kleidung, Wohnung und Gesundheitsfürsorge.  Die Grundbedürfnisse sind objektiv; sie lassen sich nach Maß und Zahl berechnen.  In diesem Sinn ist absolute Armut definierbar.  Sie sind gleichzeitig relativ zu betrachten, nämlich bezogen auf die konkreten gesellschaftlichen Situationen.  Um beide Seiten der Grundbedürfnisse beurteilen zu können, sind sowohl biologische, medizinische wie auch sozialwissenschaftliche Kenntnisse erforderlich.  Der Mensch ist als Kulturwesen ein soziales Wesen.  Ohne menschliche Beziehungen - Zuwendung, Liebe, Anregung - kann er sich nicht entfalten, sondern er verkümmert; im schlimmsten Fall ist seine Lebenserhaltung gefährdet.

Konkrete ethische Urteile, das läßt sich gerade am Beispiel der elementaren Lebensbedingungen verdeutlichen, sind komplexe Urteile.  Sie haben eine Wertseite und   Zur ethischen Urteilsbildung gehört deshalb auch die Vermittlung von Wissen über die Fakten und Umstände, auf die das ethische Urteil sich bezieht. Informations- und Kenntnisvermittlung sind deshalb für den Ethikunterricht unverzichtbar

5. Die Auseinandersetzung mit ethischen Traditionen

Unser Denken und damit die Begründungsmodelle für sittliches Verhalten sind traditionsgeprägt.  Dies gilt mitunter gerade dort, wo Modernitätsüberzeugungen ganz besonders betont werden.  Wer reflektiert handeln will, muß versuchen, sich diese Traditionsprägungen bewußt zu machen. In die europäische Kultur sind verschiedene Traditionsstränge eingegangen, die auch heute noch weiterwirken und deshalb erinnert werden sollten: die Ethik der Lebenswelt und der Lebensformen des Aristoteles, die Ethik der Stoa, die moralischen Überlieferungen der hebräischen Bibel (das sog. Alte Testament) und des Neuen Testaments, römisches Ordnungs-, Rechts- und Herrschaftsdenken, die Aufklärung mit ihrer Betonung von Vernunft und Autonomie, der englische demokratische Pragmatismus und Utilitarismus, die Impulse des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, naturwissenschaftliche, psvchologische oder sozialwissenschaftliche Denkkulturen, dialektische und existentialistische Denkerfahrung.  So umfangreich diese Aufzählung auch ist, sie ist unvollständig.  Heute aber reicht auch die auf Europa allein bezogene Betrachtungsweise nicht mehr aus.  Der interkulturelle Austausch wird in seiner Bedeutung anerkannt. Die Kritik der asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Kulturen am „Eurozentrismus“ äußert sich entschiedener und schärfer.

Zur Aufgabe des Ethikunterrichts gehört deshalb auch die Ausweitung des Horizonts der Erinnerung und des Bewußtseins sowohl im Längsschnitt der eigenen Geschichte als auch im Querschnitt der gleichzeitig existierenden Kulturen.  Dies kann allerdings nur exemplarisch - z. B. in der Begegnung und in der Auseinandersetzung mit dem Islam - geschehen.

6. Wichtige Begriffe (Definitionen)

Philosophie (grch. philos = Freund, grch. sophia = Weisheit) ist das Streben nach dem „wahren“ Wissen, die Liebe, die „Freundschaft“ zur Weisheit oder allgemein, daß Streben nach Erkenntnissen. Das „wahre“ Wissen umfaßt die Erkenntnis des Wesens und des Zusammenhangs aller Dinge, die Prinzipien und Inhalte ethischen Handelns, die menschliche Selbsterkenntnis und die Einsicht in die Stellung des Menschen in der Welt.

Religion, das „Gebunden-Sein“ (lat. religari), bedeutet als Phänomen die Überschreitung der mit den Sinnen erfahrbaren Welt zu einem sinngebenden Ganzen. Dieser „Weltgrund“ wird als das Unbedingte, Unvergängliche, als das wahre Sein gegenüber der Welt der Erscheinungen empfunden (Gott!), das als heilig gilt und Verhalten wie Lebensführung zu bestimmen vermag. Der „Glaube an“ (besser Vertrauen in!) Gott steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Begriff der Religion. Er ist nicht identisch mit dem Glauben an unpersönliche Mächte oder Geistwesen (Animismus).

Moral (lat. mores = Sitten) ist ein aus kultureller und religiöser Erfahrung gebildetes Regelsystem bestimmter Normen und Wertvorstellungen, die überindividuell als Maßstab des Verhaltens gegenüber dem Mitmenschen und zu sich selbst gelten. Moral unterscheidet sich damit von den Gewohnheiten des bloßen Herkommens (Brauch) und des Anstandes. Moral bildet im weiteren Sinne einen der Willkür der einzelnen entzogenen Komplex von Handlungsregeln, Wertmaßstäben und Sinnvorstellungen. Moral wird nicht in persönlichen Überzeugungen und Verhaltensweisen sondern auch in der Verfaßtheit öffentlicher Institutionen (Eigentum, Familie, etc.), letztlich in der gelebten sozialen, politischen wirtschaftlichen und kulturellen Ordnung sichtbar.

Ethik (grch. ethos = Sitte, Brauch, gewohnter Ort des Lebens) ist der nachdenkliche, sowohl prüfende als auch begründende Umgang mit den Inhalten von Moral. Die Ethik setzt also voraus, daß eine Moral schon vorhanden ist. Ethik wurde stets notwendig, wenn ein Ethos - eine selbstverständliche und fraglose Lebensform - in die Krise geraten ist. Als Disziplin der Philosophie ist die Ethik in einer Zeit des Umbruchs, als das Moralische sich nicht mehr von selbst verstand, sondern fragwürdig wurde, entstanden. Dies geschah im 5. und 4. vorchristlichen Jahrhundert im alten Griechenland. Aristoteles (384- 322 v. Chr.) hielt die ersten Vorlesungen über philosophische Ethik. Die Ethik ist demnach kein zeitloses, sondern ein historisches Phänomen innerhalb des europäischen Kulturraumes.

Anthropologie ist die Wissenschaft vom Menschen, seiner biologischen, philosophischen und theologischen Aspekte.

Immanuel Kant: „Das Feld der Philosophie in dieser weltbürgerlichen Bedeutung läßt sich auf folgende Fragen bringen:         1) Was kann ich wissen?

                                                        2) Was soll ich tun?

                                                        3) Was darf ich hoffen?

                                                        4) Was ist der Mensch?

                       Die erste Frage beantwortet die Metaphysik, die zweite die Moral, die dritte die Religion, die vierte die Anthropologie. Im Grunde könnte man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen, weil sich die ersten drei Fragen auf die letzte beziehen.“